Wenn ich morgens die Treppe zu meinem Büro hinaufsteige blicke ich dabei nach links. Zu dem Büro, welches dem meinem direkt gegenüber liegt und rufe fröhlich und mit einem Lächeln „Guten Morgen Mykhailo!“. Jeden Morgen. Er lächelt zurück und erwidert sein „Guten Morgen“. Manchmal winkt er mir auch zu.

Heute bin ich direkt zu ihm an den Schreibtisch getreten und wir haben uns einfach nur still umarmt. Und eine Kerze angezündet.

April 2018. Eine Mail ploppte an meinem Bildschirm auf. „Bewerbung als Konstrukteur für Fenster und Wintergärten“. Da wir gerade wieder einmal dringend Verstärkung für die Konstruktion unserer Fenster- und Fassadensysteme suchten, öffnete ich voller Vorfreude sämtliche Anhänge dieser Mail. Ich verschlang förmlich jedes Wort. Alles was ich las klang einfach nur zu schön, um wahr zu sein. Es war nicht nur die Qualifikation, welche mich sofort ansprach, sondern auch die Worte, welche er gewählt hatte. Seine Werte, welche ihm wichtig sind deckten sich mit den unseren.

Der Absender dieser Mail war Mykhailo. Er hat Maschinenbau studiert und die letzten zehn Jahre in einer Fenster- und Fassadenbaufirma in Kiew gearbeitet. Durch den Krieg in seiner Heimat, der Ukraine, verließ er mit seiner Frau und seiner kleinen Tochter 2016 Kiew in Richtung Polen und konstruierte von da an ebenso Fenster, Türen und Wintergärten für den polnischen Markt. „Fremdsprachen: Englisch, Polnisch und Russisch sehr gut in Wort und Schrift. Deutsch, anfänglich“. Mhhh…Anfänglich. Mein Sven und ich waren uns einig, dass es mit spärlichen Deutschkenntnissen schwierig werden würde. Leider! Mykhailo schrieb zurück, das er jetzt Deutsch lernt und sich wieder meldet.

Im Juli 2018 hielten wir seine zweite Bewerbung in den Händen mit den Worten. „Ich habe den Abschluss B2 in Deutsch. Über ein Bewerbungsgespräch in Ihrem Haus würde ich mich sehr freuen.“ Ich googelte was dies bedeutet und stellte voller Freude fest, das sind erweiterte Deutschkenntnisse. Auf meine Nachfrage, warum er unbedingt in unserer Firma arbeiten möchte schrieb er: „Ich möchte in einer stabilen Firma arbeiten, die sich um die Qualität seiner Produkte kümmert (von Zeichnungen bis zur Montage). Ich mag es, Fenster, Türen, Fassaden aus Holz zu projektieren und ich wünsche mir für meine Familie und mich eine neue Zukunft.“ Ach Mensch.

Kurze Zeit später lernten wir uns persönlich kennen. Zum Bewerbungsgespräch brachte er einen polnischen Freund als Dolmetscher und – ganz wichtig! – ein Übersetzungsgerät mit. Als wir mit ihm einen Rundgang durch unser Unternehmen machten lächelte er und sagte „Alles wie im Internet“. Und als ihm mein Cousin Uwe Glock entgegenkam deutete er auf ihn und sagte „Das ist Uwe“. Er hatte unsere ganze Internetpräsenz verinnerlicht, das merkte ich schnell. Und so war es kein Wunder, das er noch im selben Monat seinen Arbeitsvertrag in den Händen hielt. Nachdem alle Formalitäten mit den Behörden und der Botschaft geklärt war zog er mit seiner Familie nach Thüringen und fing am 1. November 2018 in unserem Familienbetrieb an.

Mykhailo ist ein wunderbarer Mensch und wir sind froh und glücklich ihn bei uns zu haben. Alle im Team, sowie unsere Kunden schätzen und mögen seine Freundlichkeit, seine Fachkompetenz, seine korrekte Art und seine Verbindlichkeit. Gerade in dieser Zeit unterhalten wir uns sehr oft und viel über Russland und die Ukraine. Sein Haus steht noch dort, im Kriegsgebiet. Die Fotos davon kennen wir, mit Granateneinschlag… Wenn er wütend und verbittert wäre, man könnte es verstehen. Nein, er ist es nicht.

Und wenn er manchmal „Ich weeß“ (Ich weiß) sagt, wenn ich ihm etwas erzähle, dann muss ich schmunzeln. Er spricht nun schon richtig gutes Deutsch. Mit einem thüringischem Akzent.

 

 

#frieden

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